Herrenhäuser, Nervenheilanstalten, Schlösser – das Horrorgenre hat eine Vielzahl von Locations zu bieten. Resident Evil 2 hat die Diskussion um das beste Setting damals auf ein neues Level gehoben. Jahre später konnte erst Silent Hill 4 wieder solch eine Ebene erreichen, dazwischen und auch danach wurde die Gattung immer wieder mit Klischeeorten geflutet. Doch was macht Resident Evil 2 so besonders, und was hat der Terminator damit zu tun?
Der allgemeingültige Urvater des Survival-Horrors, Resident Evil, spielt hauptsächlich in einem scheinbar verlassenen Herrenhaus. So furchteinflößend, wie das Setting damals war, so war es gleichzeitig auch einfach Standard. Das soll nicht heißen, dass sowohl Original als auch Remake einen lahmen Spielort boten – ganz im Gegenteil, bis heute weiß das muffige Spencer-Mansion zu verstören. Aber es war im Kern einfach nichts Außergewöhnliches. Poltergeist, The Shining, ja, selbst das OG-Zombie-Meisterwerk Night of the Living Dead spielt in einem Haus, auch wenn die Gefahren da außerhalb der Wände lauern – zumindest die nicht (mehr) menschlichen Gefahren. Auch im realen Leben würde man sich wahrscheinlich zumindest unbehaglich fühlen, wenn man ein verlassenes, fremdes Anwesen betritt.

Was macht Resident Evil 2 nun anders als vergleichbare Titel und auch als sein Vorgänger? Ganz einfach: Capcom hat die Erwartungen der Spieler umgedreht. Bekanntermaßen spielt der Nachfolger zum großen Teil in einem Polizeirevier. Und natürlich ist mir als Spieler bewusst, dass ich mich im Capcom’schen Survival-Horror nicht auf die faule Haut legen und die Staatsgewalt die Zombiehorden erledigen lassen kann, während ich im Besucherraum solange meinen heißen Kaffee mit einem Schuss Milch genieße. Und dennoch ist das RPD eine ausgezeichnet logisch-unlogische Wahl.
Schon der Anfang des Spiels führt die Spieler und auch die Protagonisten selbst auf eine falsche Spur und schürt Hoffnung, die es im Endeffekt nicht gibt. Nachdem Claire und Leon in Raccoon City ankommen und sich durch den explodierenden Tanklaster aus den Augen verlieren, rufen sie sich durch die Flammen zu, dass sie sich an der Polizeistation treffen – weil die Polizeistation ja ziemlich sicher ein Ort des Schutzes sei. Schwer bewaffnete Cops, dicke Türen und Wände, ein Fuhrpark, der Menschen aus der Stadt bringen kann – all das wird das Raccoon City Police Department ja wohl bieten. Nein, ganz im Gegenteil. Fast die komplette Belegschaft ist entweder zerfetzt oder untot (oder beides), Mutanten bewegen sich durch die kaputten Korridore, und der einzige Helikopter, der die Helden der Geschichte aus der Stadt bringen kann, zerschellt auf dem Dach des Gebäudes. Der Ort, der eigentlich für die letzte Sicherheit in Raccoon City stehen sollte, ist zu einem Ort des ultimativen Horrors geworden. Selbst Reporter Ben, der sich in die Gefängniszellen des RPD geschlossen hat, um dort irgendwie Schutz zu finden, wird umgebracht.

Da ist es ein umso gelungener Gameplay-Kniff, dass Capcom dieses Gefühl der stetigen Unsicherheit in einem vermeintlich sicheren Gebäude auf die Spitze treibt, indem an einer Stelle im Spiel selbst die berühmten Türladesequenzen nicht mehr vor Untoten schützen und zwei Vertreter der untoten Rasse einfach in den Ladebildschirm platzen. Capcom hat sich wirklich alle Mühe gegeben, sichere Umgebungen zu entsichern. Sei es die oben genannte Ladesequenz, der Licker, der durch eine Verhörraumscheibe bricht, Zombiearme, die durch Holzbarrikaden schießen, oder Mr. X, der einfach die komplette Architektur des Reviers aufbricht und durch Wände marschiert. Und auch in diesen Beispielen verstecken sich zwei Punkte, die Resident Evil 2 so unberechenbar machen.
1.) Es gibt keine Hinweise darauf, dass diese Dinge überhaupt passieren können. Die Renderhintergründe geben aufgrund ihres Aussehens keine Anhaltspunkte darauf. Normalerweise sind diese Renderbilder ja statisch und lassen dementsprechend gar keine Interaktion zu, durch geschicktes Kameraspiel wird diese Hürde aber einfach umgangen.
2.) Jetzt, wo man gemerkt hat, dass keine Räume, Korridore etc. wirklich endgültig sicher sind, ist man natürlich ständig auf der Hut. Wann kommt Mr. X durch die nächste Wand gestampft? Ist jetzt jeder Ladebildschirm potenziell gefährlich? Es wird sehr stark mit unseren Erwartungen gespielt, die wir so vorher gar nicht erst hatten.
Und das jetzt alles an einem vermeintlichen Safespace. So ist es auch im eingangs erwähnten The Terminator. Als Sarah Connor ins Polizeirevier gebracht wird, geht man davon aus, dass der Film jetzt etwas ruhiger wird und die Gefahr erst einmal gebannt ist. Eine so große Anzahl an geladenen Schießeisen wird schon dafür sorgen, dass der T-800 fernbleiben wird. Nun, jeder, der den Film kennt, weiß: falsch gedacht. Nach den bekannten Worten „I’ll be back“ startet Arnie das Massaker an den Cops – es gibt kein Entkommen, lediglich Sarah und Kyle gelingt knapp die Flucht. Aber die Menschen, die für die Sicherheit des Ortes sorgen sollten, sind alle tot.

Und so ist es auch in Resident Evil 2. Eine ungewollte Machtdemonstration von Umbrella. Ihr seid nirgendwo mehr sicher – wenn wir wollen, kriegen wir euch überall. Der Ausbruch war zu dem Zeitpunkt so zwar nicht geplant, zeigt aber, zu was Umbrella bzw. der Virus fähig ist. Und das Polizeirevier war die perfekte Location von Capcom, um das zu demonstrieren. Auch deshalb ist Resident Evil 2 bis heute meiner Meinung nach eines der besten (Survival-Horror-)Spiele aller Zeiten.